Stieleiche bei Rettenbach

Der stumme Wächter des Wegs.

So ein Baum könnte viel erzählen. Wie und warum sich Nutzung und Landschaft im Lauf der Zeit geändert haben. Und was alles passiert ist auf den Wegen, die an ihm vorbei geführt haben (s. u.). 

Flurbaum-Steckbrief

Bezeichnung

Stieleiche - Quercus robur

Beschreibung

  • Einzelbaum
  • einstämmig
  • Stammumfang des stärksten Stamms in 130 cm Höhe  328 cm (das entspricht einem Durchmesser von 104 cm)
  • Baumhöhe: ca. 19 m
  • Kronenbreite: ca. 15 m
  • lichte Höhe: ca. 3,5 m
  • Kronenform: kugelförmig
  • Alter (geschätzt): der Baum keimte um 1890 und war somit im Jahr der Messung rund 130 Jahre alt

Lebensraum

  • Acker (2022: Ackergras)
  • ebenes Gelände
  • Höhenlage: 484 m
  • Naturraum: Donau-Isar-Hügelland

Standort

  • bei Rettenbach
  • Flurlage Brandfeld
  • Gemarkung / Gemeinde Vierkirchen
  • Lkr. Dachau, Bayern
  • Koordinaten: 48.3761, 11.4717

Risiken

  • eine teilversiegelte Fläche ist etwa 2 m entfernt
  • eine regelmäßig bearbeitete Fläche reicht bis nahe an den Stamm
  • erkannte Schäden: einige abgesägte Äste im unteren Stammbereich

Besonderheit

  • Ackerbaum


erhoben am 12. Juni 2022


Flurkarten, Landwirte und Zeitungsartikel von früher erzählen, was der Baum alles erlebt hat

Der Standort des Flurbaums ist in den beiden Karten unten (Abb. 1 und 2) jeweils als grüner Punkt dargestellt.

Die Karte der Geographische Uraufnahme dieser Flur von 1808 - 1864 (Abb. 1) zeigt, dass der Baum - sollte er so alt sein, wie berechnet - in jungen Jahren an einem Kreuzungspunkt von Feldwegen und Hecken aufwuchs. Die Nutzung der Flächen rundum bestand damals weitgehend aus Grünland, in dem nordwestlich gelegenen Geviert aber aus Wald.

Ein Landwirt aus Rettenbach erzählte mir, dass Brautleute früher aus diesem Wald die Eichen geholt haben, die sie zur Anfertigung der Möbel für ihren Hausstand benötigten. Im Bild ganz oben - der Blick ist nach Süden gerichtet - ist das heute die Fläche rechts des Wegs im Vordergrund mit dem hohen Gras.

Dieser Wald war bei der Aufnahme der Positionsblattes um 1860 (Abb. 2) bereits zum Teil gerodet, als Nutzung um den Baum wird Grünland (grünlich) und Acker (hellbraun) angegeben. Offensichtlich blieb die Stieleiche mit ein paar anderen Bäumen als letzter Rest dieses Waldes übrig. Der Baum dürfte früher direkt am Weg gestanden haben. Irgendwann, wahrscheinlich in der 1976 angeordneten Flurbereinigung, wurde der Weg begradigt und rückte dadurch etwas vom Baum nach Westen ab. Heute wird rund um den Baum geackert.

Die Karte in Abb. 2 zeigt auch, dass an dem Baum der Fußweg von Vierkirchen nach Kollbach vorbei ging ( ___ . . . ___ ), vielleicht ein Weg, auf dem man sonntags zur Kirche ging.

Auf alle Fälle kam es auf diesem Weg in der ersten Maihälfte 1878 zu einer üblen Schägerei, über die der Amperbote vom 18.05.1878 folgendes berichtete: 

"Vor einigen Tagen haben mehrere Burschen von den Ortschaften Biberbach und Giebing anderen Burschen von Vierkirchen außerhalb Kollbach beim Nachhausegehen den Weg abgepasst, was beim Zusammentreffen zu einer umfangreichen Schlägerei ausartete und wurde hierbei der Gütlerssohn Andreas Berthold von Vierkirchen, welcher arg in`s Gedränge kam, so zugerichtet, dass mehrere Schädelknochenzersplitterungen an ihm sichtbar wurden und infolge dessen auch derselbe, nach Aussage des ihn behandelnden Baders Sondermaier, lebensgefährlich darniederliegt." (77)

Die Flur wurde zuletzt in der 1976 angeordneten Flurbereinigung den Bedürfnissen der Landwirtschaft angepasst ("bereinigt"). Die Flurstücke und Gewanne wurden größer (Abb. 3), weitere Gehölze verschwanden. Dass die Stieleiche, die Gemeine Esche und noch einige andere Bäume bei Rettenbach heute noch die Landschaft bereichern, obwohl sie inzwischen auf keiner Grenze oder sonstigen Struktur, sondern mitten im Acker stehen, ist bemerkenswert und erfreulich.

Abb. 1: Ausschnitt aus Uraufnahme (um 1808-1864). Bayerische Vermessungsverwaltung (76). Der grüne Punkt markiert den Standort der Stieleiche. 

Abb. 2: Ausschnitt aus Positionsblätter 1 : 25.000 (um 1860). Bayerische Vermessungsverwaltung (76). Der grüne Punkt markiert den Standort der Stieleiche. 

Abb. 3: aktuelle Topografische Karte. Beide in flurbaum.de dokumentierten Bäume stehen im Gewann "Brandfeld" und sind in der Karte als Symbol eingetragen. Die hier genannte Stieleiche wächst im linken Bereich des Gewanns, in der Nähe des begrenzenden westlichen Feldwegs. Südöstlich davon steht die Gemeine Esche bei Rettenbach. (76)