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Bäume und Nachhaltigkeit

"Nachhaltig" ist eines der am häufigsten missbrauchten Wörter. Kaum ein anderer ursprünglich bedeutsamer Begriff ist inzwischen so zur nichtssagenden Plattitüde verkommen. Gibt es Regierungen, Institutionen, Firmen, die von sich nicht behaupten, "nachhaltig" zu handeln? Der Begriff wird heute meist im Sinn von mehr oder weniger umweltfreundlich gebraucht, im ursprünglichen Sinn bedeutet er aber viel mehr. Und das hat etwas mit Bäumen zu tun.

Der sächsische Oberberghauptmann in Freiberg Hans Carl von Carlowitz war in Sachsen auch für die Bewirtschaftung der Wälder zuständig und verwendete das Wort "nachhaltend" 1713 in seinem Werk "Sylvicultura Oeconomica" ("Ökonomie der Forstwirtschaft"). Damit prägte er einen Begriff, der schon zu seiner Zeit nicht nur im Waldbau vielfältige Beachtung fand. Mit ihm wird die „continuirliche, beständige und nachhaltende Nutzung“ des Holzes beschrieben, die darin bestand, dem Forst nicht mehr zu entnehmen als in ihm nachwächst. (68)

1972 tauchte der Begriff im Sinne eines globalen Gleichgewichts im Bericht "Die Grenzen des Wachstums" des Club of Rome auf.

Begriffsverwirrung und Versuch einer Einordnung: hinsichtlich des Anspruchs an Umwelt- und Naturschutz steht "nachhaltig" ganz oben
Hans Carl von Carlowitz, um 1713, Foto Wikipedia (68)

Die von den Vereinten Nationen eingesetzte Brundtland Kommission (Weltkommission für Umwelt und Entwicklung) übertrug in ihrem Bericht von 1987 den ursprünglich aus der Forstwirtschaft kommenden Begriff in einen größeren Zusammenhang: Entwicklung nachhaltig gestalten heißt, dass die gegenwärtige Generation ihre Bedürfnisse befriedigt, ohne die Fähigkeit der zukünftigen Generation zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse befriedigen zu können.

Anders ausgedrückt: Ein Verhalten ist nachhaltig oder zukunftsfähig, wenn es auf Dauer und ohne Nachteile für kommende Generationen fortgesetzt werden kann.

Das ist ein sehr hoher Anspruch. Letztlich bedeutet es, die natürlichen Ressourcen nur in dem Umfang zu verbrauchen, wie sie von Natur aus wieder "nachwachsen" oder gleichwertig ersetzt werden können.

Ich frage mich:

Ist es nachhaltig, wenn von uns in einem Jahr die Menge an Erdöl verbrannt wird, die in einer Million Jahren entstanden ist?


Bisher wurden weltweit etwa 207.227 Millionen Tonnen Erdöl verbraucht. Die noch vorhandenen Ressourcen (nicht Reserven!) werden auf ca. 447.874 Millionen Tonnen geschätzt. Bevor der Mensch die Erdölvorräte nutzte, waren demnach rund 655.101 Millionen Tonnen vorhanden. 

Im Jahr 2017 wurden 4.593 Millionen Tonnen verbraucht.

Die Haupt-Erdölressourcen der Erde entstanden vor 65 bis 200 Millionen Jahren (Jura- und Kreide-Erdzeitalter), also in einem Zeitraum von rund 135 Millionen Jahren. Im Mittel entstanden somit in 1 Million Jahren rund 4.853 Millionen Tonnen. Natürlich entstand auch vor und nach den genannten Erdzeitaltern Erdöl in zumindest kleineren Mengen. (alle Ausgangsdaten nach 61

Weltförderung an Erdöl 1860 bis 2020 (61, verändert)


Von der Größenordung her ist der derzeitige Verbrauch in 1 Jahr (4.593 Millionen Tonnen) und die rechnerisch in 1 Million Jahren entsandene Menge an Erdöl (4.853 Millionen Tonnen) demnach vergleichbar.

Erdgas und Kohle bleiben in dieser Rechnung unberücksichtigt, erhöhen den CO2-Ausstoß also noch zusätzlich..


Weltweite CO2-Emission 1860 bis 2020, Äquivalente der 3 Treibhausgase CO2 (Kohlenstoffdioxid), CH4 (Methan) und N2O (Lachgas) in Megatonnen (60)

Ist es nachhaltig, wenn durch unser Handeln der Gehalt klimaschädlicher Gase in der Luft so rasant ansteigt?


Ist es nachhaltig, wenn jährlich ca. 30.000 bis 40.000 Quadratkilometer Regenwald verloren gehen, damit Mais, Soja und Palmöl u. a. für die Tiermast billig produziert werden können?

Weltweite jährliche Regenwaldverluste 2002 bis 2020, qkm (63)


Geisterstadt Prypjat mit dem havarierten AKW Tschernobyl im Hintergrund, Foto: pixabay

Ist es nachhaltig, wenn Atomkraftwerke in Betrieb genommen werden, obgleich 

  • die dafür notwendige Sicherheit offensichtlich nicht geschaffen werden kann,
  • die Probleme des Endlagers künftigen Generationen aufgeladen werden (65)?

Ist es nachhaltig, wenn die Art Mensch durch ihr Handeln das größte Artensterben seit dem Dinosaurier-Zeitalter verursacht?

Gesamtheit der Wirbeltiere, die von der IUCN (International Union for Conservation of Nature) als ausgestorben betrachtet werden; als "Hintergrund" ist der ohne menschliches Tun zu erwartende Artenschwund zu verstehen (62)


Geschätzte Bodenerosion durch Wasser in Europa, EEA (70)

Ist es nachhaltig, wenn die Bodenerosion vor allem auf vielen Ackerflächen die Nachlieferung von Boden durch natürliche Gesteinsverwitterung um ein vielfaches übertrifft und nicht nur europaweit ansteigt? (66)


1 mm Bodenschicht entsteht durch natürliche Gesteinsverwitterung in 10 bis 30 (71), im Mittel also in 20 Jahren. Pro Hektar (10.000 m2) entspricht das einem Volumen von 10 m3

Boden hat ein spezifisches Gewicht von rund 1,5 Tonnen pro m3, es wachsen in 20 Jahren also etwa 15 Tonnen Boden pro Hektar nach. In einem Jahr sind das 0,75 Tonnen. 

Bei einem Bodenabtrag von über 0,75 Tonnen pro Hektar und Jahr wird demnach die Grenze überschritten, bei der mehr Boden abgetragen als auf natürliche Weise nachgeliefert wird. 

Das kann solange gut gehen, bis das verwitterte Bodenmaterial oder die fruchtbare Deckschicht aus Löss oder Lehm abgetragen sind. Spätestens dann ist die vormalige Bodenfruchtbarkeit für sehr lange Zeit verloren.


Ist es nachhaltig, wenn alleine in Deutschland täglich 52 Hektar Grünland, Acker-, Wald- und Naturflächen (rund 72 Fußballfelder) in Siedlungs- und Verkehrsflächen umgewandelt und etwa zur Hälfte versiegelt werden?  

Täglicher Anstieg der Siedlungs- und Verkehrsfläche (= Netto-Flächenverbrauch) in Hektar (64)

Nachhaltigkeit ist ein Ziel, das für unsere Gesellschaft nur sehr schwer erreichbar sein wird. 

Es sollte unbedingt ein Ziel bleiben. Den Begriff "nachhaltig" sollte man aber nicht so inflationär verwenden.

Und was hat das alles mit Bäumen zu tun?

Die ökonomisch(!) sinnvoll ausgerichtet Bewirtschaftung der Waldbäume lehrt uns, wie wir auf Dauer und damit zukunftsfähig unser Leben gestalten können.

von Rudolf Rippel